Modellierungen von Zukunft sind umkämpft und ich möchte hier erarbeiten, wie sich die beiden meist diskutiertesten Modelle (VUCA – BANI) auf mein Denken und Arbeiten auswirken.
Meine Arbeitshypothese
Ich habe bislang mit dem VUCA-Modell gearbeitet: Nach VUCA wird die Zukunft volatil sein, also schwankend und unbeständig, außerdem unsicher, komplex und ambig, also mehrdeutig. Damit Schule Schüler*innen gerecht werden kann, muss sie also Kompetenzen in den Blick nehmen, die Schüler*innen dazu befähigen in einer solchen Welt Handeln zu können und mit ihr umgehen zu können. Diese Kompetenzen habe ich bisher, im Anschluss an Robert Johansen*, auch mit dem englischen Akronym VUCA abgekürzt: Hier steht VUCA² dann für
Vision Understanding Clarity Adaptability
Also, wieder VUCA. In dem Fall aber als: Vision, Verstehen, Klarheit und Anpassungsfähigkeit, bzw. Agilität. (Johansen nennt das VUCA Prime, das klingt mit zu )

Dieses zweite VUCA wird heutzutage auch herangezogen, wenn es um Führung geht. Führung ist dann gut, wenn sie eine Vision hat, wenn sie sich um Verständnis bemüht, wenn sie klar ist und wenn sie agil ist, bzw. Anpassungsfähigkeit beweist.
Für die Schule geht es um die 21st century skills, im Kern um die 4K (Kommunikation, Kritisches Denken, Kreativität, Kollaboration), welche durch einen möglichst hohen Grad an Learner Agency (etwa: Handlungsmächtigkeit) in projektorientieren Unterricht zur Geltung kommen. Meine Arbeitshypothese lautete also:
Durch projektorientierten Unterricht mit Learner Agency entwickeln sich die 21st century skills, die zu Vision, Verstehen, Klarheit und Agilität führen. Dies versetzt Schüler*innen in die Lage mit einer volatilen, unsicheren, komplexen und ambigen Zukunft umzugehen.
Mir stellen sich nun Fragen auf zwei Ebenen:
- Lässt sich VUCA in dieser Arbeitshypothese verlustfrei oder gar gewinnbringend durch BANI ersetzen?
- Trifft das Modell BANI die Zukunft genauer als VUCA?
Machen wir den Test:
Durch projektorientierten Unterricht mit Learner Agency entwickeln sich die 21st century skills, die zu Vision, Verstehen, Klarheit und Agilität führen. Dies versetzt Schüler*innen in die Lage mit einer brüchigen, von Angst geprägten, nicht linearen, unbegreiflichen (incomprehensible) Zukunft umzugehen.
Wenn die Zukunft brüchig ist, brauche ich Vision und Agilität, damit das Zerbrechende, bzw. Zerbrochene mir nicht im Weg ist. Wenn ich etwas fürchte, dann kann ich mit Klarheit und Verstehen dafür sorgen, dass ich das Gefürchtete besser verstehe und es im Idealfall nicht mehr fürchten muss. Das nicht-lineare lässt sich ebenfalls durch Klarheit bewältigen. Der Satz „Das ist sowohl die Ursache davon, als auch nicht.“ ist etwas, dessen Klarheit begriffen werden muss. Wir können also mit Klarheit die Nicht-Linearität überwinden. Die unbegreifliche Zukunft lässt sich mit Vision und Agilität bewältigen. Ich muss etwas nicht in seinem inneren Zusammenhang verstehen, um es zu umschiffen. Die Kapitänin muss die Prinzipien der tektonischen Plattenverschiebung nicht kennen, um an einer neuen Verwerfung vorbei zu kommen. Sie muss sie erkennen und einen Plan entwerfen (Vision) und den Weg zur Zielerreichung neu definieren (Agilität).
Halten wir also für die erste Ebene fest, dass auch die BANI-Welt durch VUCA² bewältigbar bleibt und ich somit prinzipiell bei meine Arbeitshypothese bleiben kann. Beide Wege, VUCA und BANI führen also zu VUCA².
Was gewinnen wir durch BANI?
„Brittle“ seien die Institutionen; brüchig also. Gregor Höller bringt folgendermaßen auf den Punkt:
Der wesentliche Unterschied zwischen brittle und volatile ist, dass spröde Systeme oft stabil wirken, bis zu dem Moment, in dem sie ohne Vorwarnung in sich zusammenbrechen. Im Gegensatz zur Volatilität, wo sich etwas von einem Zustand zu einem anderen verändert. Paradebeispiele für „brüchige“ Systeme sind unsere Energienetze oder der globale Handel. Die aktuelle Pandemie zeigt die Brüchigkeit unserer Systeme ebenfalls sehr deutlich auf.
Gregor Höller
Ein Beispiel dafür sind die Auswirkungen der Havarie der Evergiven im Suez-Kanal 2021. Eine kleine Ursache, ein Steuerungsfehler, zeigt die Brüchigkeit des gesamten Wirtschaftssystems. Während „brittle“ anzeigt, dass Systeme auch zusammenbrechen können, impliziert Volatilität auch die Möglichkeit, dass ein Zusammenbruch abgefangen werden kann und das System sich wieder erholt. So haben sich viele Unternehmen von den Lieferkettenprobleme, die durch die Havarie ausgelöst worden sind, inzwischen erholt. Für einzelne Unternehmen war das der Untergang. Das heißt, dass in diesem Zusammenhang die Nützlichkeit von „brittle“ v. Volatilität vom Blickwinkel abhängt.
Das BANI-Modell rückt außerdem die Gefühlsebene ins Zentrum. Mit ihm lässt sich leichter auf die Gefühlswelt des Menschen verweisen, die im VUCA Modell nicht explizit auftaucht. Das VUCA-Modell selbst wirkt allerdings recht bedrohlich. Eine volatile, unsichere und ambige Zukunft, die durch Komplexität geprägt ist, ist selbst Grund, mindestens vorsichtig in die Zukunft zu schauen. BANI macht das einfacher.
Was verlieren wir durch BANI?
Mit BANI gerät die Komplexität aus dem Fokus. Komplexe Phänomene werden in diesem Modell nur noch als nicht-linear oder als unbegreifliche Phänomene auftauchen. Das Komplexe erscheint damit durch die BANI Brille als unüberwindliches Hindernis, was das Komplexe aber nicht ist.
Ist die Zukunft VUCA oder BANI
Welches Modell erfasst die Zukunft also genauer? Darauf ein klares: Sowohl als auch. Je nachdem, ob ich ein zusammengebrochenes System betrachte oder eins, das dabei ist, sich wieder zu erholen, sind die beiden Brillen unterschiedlich nützlich. Insgesamt denke ich aber, dass VUCA häufiger nützlicher ist. Vor Allem wegen dem letzen Buchstaben von BANI. Die Welt soll unbegreiflich (incomprehensible) sein. Vor allem dieser These kann ich nicht zustimmen. Zugegebenermaßen ist es häufig so, dass Phänomene teils schwer zugänglich sind. Denken wir an das vielfältige und heterogene Verhalten und Handeln von Menschen in Interaktion. Oder die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen, die eine KI getroffen hat. Manche führen an, dass die riesigen Datenvolumen prinzipiell nicht mehr entschlüsselbar wären. Es ist aber so, dass ich mit genug Zeit und Geduld und den richtigen Werkzeugen, alles entschlüsseln kann. Ich brauche nur das richtige Werkzeug. Oder, phänomenologisch gedacht, den richtigen Filter. Und wenn das doch mal nicht klappt. Dann versuche ich es eben nochmal. Genau diese Iteration ist aber etwas, dass mit der BANI-Brille an Attraktivität verliert. „Das ist halt unbegreiflich“ ist das Ende der Neugier. Und immer wenn ich an diesen Punkt gelange, dann nehme ich doch lieber wieder VUCA zur Hand. In beiden Fällen aber, lande ich danach bei VUCA².
*Robert Johansen: Leaders Make the Future. Ten New Leadership Skills for an Uncertain World. 2. Auflage. Berrett-Koehler, San Francisco 2012
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