Transformative Spannung – Das „Sowohl-als-auch“ in der GMLS Debatte
Eines der wichtigsten Prinzipien der Transformation ist etwas, dass ich in diesem Beitrag das „Sowohl-als-auch“ Prinzip nennen möchte, kurz: Das SOA-Prinzip. Es geht dabei um den Umstand, dass zu einer Veränderungskompetenz vor dem Hintergrund der Transformation die Einsicht gehört, dass die Antworten auf transformative Fragen sich sehr häufig nicht sinnvoll finden lassen, wenn man eine Entscheidungsstruktur im Sinne eines „Entweder-Oders“ zu Grunde legt, sondern dass man ein „Sowohl-als-auch“ braucht, um der Komplexität der Sache Herr zu werden. Jöran Muuß-Merholz und Max Woodtli buchstabieren diesen Zusammenhang hier im Podcast Edukativ.fm sehr nachvollziehbar aus.
Aus diesem SOA-Prinzip ergibt sich, dass jeder Diskurs im Bereich der Transformation gewisse Spannungen aushalten muss, weil sich in der Oberflächenstruktur widersprechende Wahrheiten gleichzeitig nützlich sind. Diese Spannung schlägt sich aber nur wenig in den Beiträgen der Bildungsbubble-Diskurse wieder. Sie müsste aber eigentlich jedesmal stattfinden.
Ich möchte das Ganze mit der Entdeckung vergleichen, dass Licht sich manchmal als Teilchen, manchmal als Welle verhält. Der Bildungsdiskurs läuft stark vereinfacht häufig so:
„Boah super, Licht verhält sich wellenförmig, ich kann das voll mega steuern, schaut mal her.“
Und alle so: „Ja stimmt, Licht ist wellenförmig. Du kannst das voll gut.“
Selten kommen Leute und weisen darauf hin, dass Licht sich auch manchmal verhält wie ein Teilchen, zu wichtig ist es, auf der Welle des Hypes zu reiten.
Die massive Überzahl dieser Beiträge führt dazu, dass Leute, die Beiträge zur Teilchenhaftigkeit des Hypes verfassen, sich nur sehr vorsichtig ausdrücken. Häufig auch nur hinter vorgehaltener Hand. Ich vermute das liegt daran, dass sie sich sorgen, sonst nicht mehr als „KI-Expert*innen“ wahrgenommen zu werden.
Wie berechtigt diese Sorge ist, weiß ich nicht. Sie speist sich daraus, dass Transformation Komplexität mit sich bringt und, die Projektion ist, dass andere diese nicht bewältigen könnten. Deswegen mutet man sie ihnen am besten gar nicht erst zu. Aber wenn wir es nicht schaffen so viel Transformationskompetenz bei den Entscheidungsträgern herzustellen, dass sie erkennen, dass auch beim Thema GMLS das SOA-Prinzip gilt, dann stehen wir auch beim nächsten transformativen Schritt ohne dieses Werkzeug da. Schon beim Thema Digitalität hätten wir den Grundstein für die komplexe Behandlung des Themas GMLS legen können. Übersetzt heißt das:
Wir dürfen die Debatte nicht ausschließlich als Hype führen. Denn, auch wenn „KI“ eine ganze Menge Nutzen hat, wir befinden uns in einer ähnlichen Lage wie die Kühlschrankentwickler der 1930er Jahre, die blauäugig FCKW im industriellen Maßstab freisetzten und damit die Vorgänge in Gang setzten, die zum Ozonloch führten. Der Unterschied besteht darin, dass die Kühlschrankentwickler zunächst afaik nicht wissen konnten, was sie auslösten. Bei uns ist das anders. Wir wissen, dass es hier eine Problematik gibt, aber in unserer Debatte wird sie häufig nicht beachtet. Das ist nicht nur gesellschaftlich problematisch, das ist auch vor dem Hintergrund, dass BNE Querschnittsaufgabe aller Lehrpersonen ist, eine Missachtung des Bildungsauftrags. Und ich bin mir sicher, dass niemand die Richtigkeit dieser Verpflichtung zu BNE bestreitet.
Was folgt daraus? Für mich folgt daraus, dass wir, wenn wir über „KI“ reden, den Rahmen deutlich setzen müssen. Bei aller Begeisterung, und bei aller Neugier: Wir müssen die problematischen Dimensionen auch immer wieder beleuchten und in den Diskurs deutlicher aufnehmen (Ich habe hier mal einen Aufschlag dazu gemacht).
Vor allem müssen wir aber das SOA-Prinzip stärker betonen und gleichzeitig darüber aufklären, dass sie eine notwendige Kompetenz zur Transformationsbewältigung ist. Sie bietet den Kontext, innerhalb dessen die Einzelnutzung, die auch immer ein „Sowohl-als-auch“ („nützlich und schädlich“) ist, bewertbar wird. Und sie bietet den Rahmen um, wenn dann bald das Quantencomputing als Grundlage neuer „KI“ gehyped wird, eine klarere Einordnung vorzunehmen. Es ist notwendig, dass wir die transformative Spannung aushalten, auch um das SOA-Prinzip mehr in den Fokus zu rücken.
Mehr zu dem problematisch Teil von GMLS findet man unter dem Hashtag #KIBedenken, den Nele Hirsch und Joscha Falck dankenswerterweise ins Leben gerufen haben und unter dem sie zu einer Blogparade aufriefen.
2 Antworten zu “Wer hat Angst vor Komplexität?”
Ich teile diese Einschätzung. (Ich nenne das SOA-Prinzip gerne auch Shruggie-Prinzip, weil dieses Emoticon aus meiner Sicht so gut dazu passt)
Herausfordernd finde ich Folgendes:
Ich gehe in meinen Erkundungen zu ‚KI‘ nach diesem SOA-Prinzip vor. Das bedeutet: Ich teile, wenn ich hilfreiche Entdeckungen zur Nutzung mache. Ganz genauso wie ich über Schäden, Risiken und Gefahren reflektiere. All diese Beiträge stelle ich wie ein Mosaik nebeneinander.
Das Problem ist damit aber, dass Beiträge im Sinne von ‚Da habe ich etwas Cooles mit KI gemacht‘ meiner Erfahrung nach auf viel mehr Interesse als die anderen stoßen. Deshalb aber ganz auf sie zu verzichten, fände ich aber auch falsch, weil sie zu meinem Lernen für mich dazu gehören.
Vielleicht liegt die Lösung ein bisschen darin, dass wir uns alle dem Thema ‚lernender‘ nähern sollten. Durch den damit verbundenen Fokus auf nachdenkliche Reflexion könnten wir vielleicht insgesamt eine größere Ausgewogenheit in die Debatte bekommen.
Hehe! SOA oder Shruggie: ¯\_(ツ)_/¯
Sehr witzige Idee!
Das Shruggie hat als Konnotation so ein bisschen was von Beliebigkeit aus der sich dann prima ableiten lässt, dass man ja eh nichts machen kann. Ich glaube das SOA-Prinzip ist offener dafür, dass „sowohl“ und auch das „als auch“ mit Bedeutung zu füllen.
Ganz auf die „Ich hab was colles mit KI gemacht“-Beiträge zu verzichten wäre nicht sinnvoll! Es muss halt immer auch das „als auch“ angemessen zur Sprache kommen, wozu sich deine Mosaik-Methode ja gut eignet.
Eine lernende Haltung ist immer nützlich. Ich habe nur den Eindruck, dass viele (nicht du) das Thema halt einfach wegfallen lassen, weil es nicht in die Verkaufsstrategie passt. Ich vermute, das hat auch was damit zu tun, wie man glaubt, dass Entscheider*innen auf Lehrpersonen blicken. Und ich glaube wir müssen hier auch diesen Wechsel auf Augenhöhe voraussetzen. Weil nur dann die Zumutung der Komplexität stattfinden kann. Und ja, das ist anstrengend. Vielleicht geht es auch darum in Vorgesprächen zu klären, inwiefern die konkrete Organisation ihre Lehrpersonen als Menschen die SOA-Kompetenz erlernen können, wahrnimmt.