Der SEagent

Schulentwicklung – Bildung – Organisation

Die Riesen stehen neben uns


Ich liebe gute Fragen und eine sehr Gute ist diese hier im Tweet:

Immer wenn die FDP oder Verwandte fordern, dass sich Leistung wieder lohnen müsse, frage ich mich, was das eigentlich sein soll, Leistung. Abgesehen von klaren Definitionen in Physik oder im Dienstleistungsbereich, finde ich den Begriff „Leistung“ häufig sehr unklar. Was auch Leistungsbewertung schwierig macht. Das Problem ist folgendes:

Eine Leistung (was auch immer das sein soll) basiert immer schon auf Vorleistungen von Vordenker*innen . Wir stehen gewissermaßen auf den Schultern von Riesen. Das soziale Kapital der Schüler*innen bemisst sich, um im Bild zu bleiben, an der Größe dieser Riesen. Je größer die Riesen, desto einfacher die Schule, und desto kleiner die erforderliche Einzelleistung. Sind meine Riesen aber eher kleiner, dann muss meine Einzelleistung entsprechend größer sein um das gleiche Ergebnis zu erzielen. Aber auch diese Leistung ist ja davon abhängig, wie gut die Leistung der Lernumgebung im Vorlauf war. Jedenfalls kann ich nur zustimmen: Individuelle Kompetenzen gibt es nicht. Ich würde sogar behaupten, dass es sie nie gab.

Vielleicht wird durch die „Gemeinschaftlichkeit“ der Kultur der Digitalität einfach nur deutlicher, dass wir mindestens so sehr auf den Schultern unserer Peers stehen, wie früher auf denen der Riesen, mit denen wir uns im Studium ausführlich lange und allein beschäftigt haben, um zum Schluss zu verdrängen, dass unsere Einzelleistung auch mal wieder nur eine Fußnote zu Platon war. Die Riesen stehen in Wirklichkeit nämlich neben uns. Es sind unsere Peers.

Wenn das aber richtig ist, dass es keine individuellen Kompetenzen gibt, dann kann ich sie auch nicht bewerten und das führt direkt zur Frage, was das mit Prüfungen zu tun hat. Ich möchte an dieser Stelle einen systemischen Blick nutzen. Die Leistung die in einer herkömmlichen Prüfungssituation von einer Schüler*in erbracht werden kann, erscheint unter diesem nämlich als Ergebnis ihres Systems, zu dem auch ich als Lehrperson gehöre. Dementsprechend ist das Scheitern der Schüler*in ggf. auch mein Scheitern. Hinterfragen wir die ggw. Prüfungspraxis und nehmen die Frage aus dem Tweet ernst, dann müsste man eigentlich sagen: In der Kultur der Digitalität ist Handeln und Denken immer schon vernetztes Handeln und Denken und deswegen muss das auch in Prüfungssituationen so sein. Nur, was prüfen wir dann da eigentlich. Und ist es fair, einem Individuum eine Note zu geben, für etwas, das Ergebnis seiner Vernetzungsfähigkeit ist? Wir bewerten dann gewissermaßen die Qualität des gesamten Systems der Schüler*in nämlich mit.

Am fairsten scheint es mir zu sein, Lernen und Leistung qualitativ zu erfassen, in Form von Projekten und Lernprodukten und auf eine Bewertung, die quantitativ vorgeht, zu verzichten.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert