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Schulentwicklung – Bildung – Organisation

Liebesbriefe in der Digitalität oder Tatühtataa – Die Digitalität ist da


Lieber Herr Zierer und lieber Herr Herz,

ich möchte Sie auf einige Ungereimtheiten und Ungenauigkeiten in dem Text vom BR hinweisen. Dazu zitiere ich auszugsweise den Originaltext und kommentiere darunter, was mir auffällt

Die Lehrerin fordert ihre Klasse auf, bei den Smartphones den Ton anzulassen. Dann wird eine Liste gemacht. […] Am Ende einer Schulstunde seien es mehr als 300 Striche gewesen, so Zierer, der das Video aus beruflichem Interesse kennt.

Wenn man ausprobiert, wie man sich am besten ablenken kann, dann ist man zum Schluss abgelenkt. Die Kompetenz, die im Interesse der Schüler*innen liegt, ist das Fokussieren auf das Lernen in einer Welt, die von Digitalität geprägt ist.

Mögliche Gegenmittel: Geräte lautlos stellen, Benachrichtigungen ausstellen, oder/und den Flugmodus nutzen. In jedem Fall ist das beobachtete Video keinesfalls ein Beleg, für die Thesen des Texts.

„Viele Schüler ziehen den Tablet-Bildschirm groß, schreiben dann ein einzelnes Wort, schieben den Bildschirm weiter, und schreiben das nächste Wort. So wird aber nie der ganze Text gesehen, wie bei einem Hefteintrag. Und ich kann so nicht schnell schauen: Was habe ich denn bislang geschrieben? Was ist der Inhalt? Stattdessen muss ich immer den Bildschirm ziehen oder schieben und erst mal suchen. Damit ist die Aufmerksamkeit weg und die Qualität des Textes leidet“, erklärt Zierer.

Auch dass Sie nicht nachvollziehen können, dass Schüler*innen durchaus in der Lage sind, das Schreibgerät adäquat zu nutzen, ist kein Beispiel für ihre These. Ich habe an dieser Stelle Schwierigkeiten zu schreiben, wie ich das deutlich machen kann, weil es sich um eine so grundlegende Einsicht handelt. Stellen Sie sich vor, dass man sich bei der Einführung des Füllfederhalters Gedanken darum gemacht hätte, wie die Schüler*in wohl darauf reagieren könnte, wenn ihr die Tinte ausgeht. Genauso wie die Schüler*in in meinem Beispiel sich Tinte besorgt, um weiterzudenken, so zieht die Schüler*in in ihrem Beispiel eben den Text wieder größer und arbeitet dann weiter.

 Das könne man inzwischen aus Studien ablesen.

Warum nennen Sie dann keine? So ist das nicht nachvollziehbar.

Ziel sei mitnichten ein volldigitalisierter Unterricht, sondern ein „selbstverständliches Neben- und Miteinander analoger und digitaler Lernformate“.

Die Unterscheidung zwischen „analogen und digitalen Lernformaten“ ist nicht sinnvoll. Im Gegenteil verstellt dieser Dualismus den Blick auf die wichtige Erkenntnis, dass jedes Handeln heute schon im Rahmen der Kultur der Digitalität stattfindet. Ich habe dazu etwas ausführlicher hier geschrieben.

„Wenn der Lehrer da ein Papier zum Ankreuzen mitgibt, dann muss er alle Kreuzchen bei allen abgefragten Punkten auswerten und zusammenzählen. Das dauert. Wenn er es aber digital macht, dann hat er mit einem Klick in Sekundenschnelle das Ergebnis. Das ist ein Beispiel, wie Digitalisierung sinnvoll genutzt werden kann.“

Das ist kein gutes Beispiel. Denn der Lehrer (sic!) nutzt in diesem Beispiel neue Möglichkeiten lediglich dazu, altes effizienter zu tun. Das kann im Einzelfall sinnvoll sein. Das Beispiel verstellt aber erneut den Blick darauf, worum es wirklich geht. Im Zeitalter der Kultur der Digitalität ist anderes Handeln möglich und nötig als im Zeitalter der Buchdruckkultur. Es geht um die großen Fragen:

  • Was ist Wissen? Wie hat es sich verändert? Welchen Stellenwert sollte es in der Schule haben?
  • Welche Rolle spielt Schule im Bezug auf die Kompetenzen der 21st century skills? Wie kann sie dafür Sorge tragen, dass Kreativität, Kollaboration, kritisches Denken und Kommunikation sichtbar und lernbar werden?

Statt Altes effizienter zu machen geht es also darum Neues zu machen und sich didaktisch neu aufzustellen. Das geschieht heute schon, bspw. durch die Methoden Scrum, Lernen durch Lehren und Deeper Learning.

„Wir kennen inzwischen Schülerinnen und Schüler, die ohne ihr Handy in der Nähe so nervös werden, dass sie sich nicht mehr richtig konzentrieren können.“

Ja, das kommt vor. Das liegt daran, dass das Leben und Handeln in der Kultur der Digitalität eben auch über das Kulturzugangsgerät Smartphone stattfindet. Die Chats mit den Freunden, der Partnerin sind heute häufig ein Tagebuchersatz. Stellen Sie sich vor, sie könnten alle ihre Tagebücher und alle Liebesbriefe, die sie geschrieben oder empfangen haben immer bei sich tragen. Das fühlt sich gut an, richtig? Und jetzt stellen sie sich vor, sie verlegen die Mappe. Und jetzt müssten sie fühlen können, warum nicht wenige nervös werden, wenn sie ihr Smartphone verlegen.

Insgesamt geht es beim Thema Digitalität nicht um deren Chancen und Risiken, sondern um den Umgang mit ihr und ihren Herausforderungen. Die Pro/Kontra-Fragestellung stellt sich nicht. Es ist nicht so, als würde „naive Digitalisierung die Schul-Bildung zerstören“, sondern dass Schul-Bildung in der Kultur der Digitalität eine völlig andere Rolle spielt als im vorhergehenden Zeitalter. Der Prozess dahin ist ein schwieriger und einer, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Trotzdem gilt:

Tatühtata – Die Digitalität ist da!

Mit freundlichen Grüßen,

Gratian Riter


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