Der Straßenlampeneffekt ist ein Witz. Jemensch wird auf dem Boden krabbelnd und betrunken im Scheine einer Straßenlampe angetroffen und gefragt, was er da mache. „Ich suche meinen Schlüssel“ spricht jemensch und auf die Frage, warum er denn hier suche, wo er doch offensichtlich nicht ist und nicht woanders, antwortet er: „Drüben ist es zu dunkel“. Jöran Muuß-Merholz beschreibt mit diesen Effekt das Problem in der Bildung, dass häufig das bewertet und geprüft wird, was einfach geprüft und bewertet werden kann.
Das Problem besteht unter Anderem darin, dass das, was einfach bewertet werden kann, nicht notwendigerweise das ist, was das wichtige ist.
Ich möchte mich heute mal herumdrehen und genauer in den Schatten nachsehen, was das ist, was sich dem Zugriff der Bewertung entzieht. Flutlicht an:
Dinge lassen sich dann gut bewerten/ prüfen, wenn sie am Kanon der Disziplin gemessen werden können. Das heißt, positives Wissen (Die Erde dreht sich um die Sonne, 2+2=4, „streetlamp“ heißt Straßenlampe auf Englisch) ist erstmal nicht unser Thema. Wenn wir dieses Abprüfen wird aber deutlich, was wir nicht notwendigerweise wahrnehmen. Nehmen wir an, wir gäben einer Lerngruppe die Aufgabe, die Lage der Erde im Weltall zu beschreiben und sie käme mit dem Ergebnis, „Die Erde dreht sich um die Sonne“ zurück, dann haben wir zwar das Ergebnis, das die Disziplin verlangt. Was wir aber nicht wissen ist, welche Leistung erbracht wurde. Wurde das einfach gegoogelt und dann das Ergebnis festgehalten. Haben sie vielleicht die Berechnungen von Kopernikus nachgerechnet? Oder haben sie sich einen eigenen Versuchsaufbau einfallen lassen? Mussten vielleicht „Flat-Earthers“ in der Gruppe überzeugt werden? Das sind Eigenschaften des Lernens, die wir nicht mitbekommen, wenn wir das „Ergebnis“ des Lernens messen.
Genauso wenig wie das bei Gruppen funktioniert, funktioniert das bei Individuen. Die oben beschriebenen Eigenschaften des Gruppenlernens können wir uns analog auch als Ablauf eines Lernprozesses innerhalb einer Person vorstellen.
Jetzt wird auch fassbar, was das ist, was außerhalb des Lichtkegels der metaphorischen Straßenlampe liegt. Es ist das Lernen selbst. Und hier haben wir einen besonderen Effekt, den man aus der Anthropologie kennen könnte, oder aus der Systemtheorie. Man könnte ja sagen: „Okay, wenn Ergebnisse prüfen, das Lernen nicht in den Blick bekommt, dann bewerten/prüfen wir eben das Lernen selbst.“
Stellen wir uns das praktisch vor. Eine Schüler*in oder eine Gruppe von Schüler*innen lernt. Eine Lehrperson hat nun keine Wahl, als dieses Lernen zu unterbrechen, um zu fragen: „Womit beschäftigst du/ihr dich/euch gerade?2 Dann kann geantwortet werden. Der Lernprozess aber, der ist unterbrochen. Man kann ein System nicht beobachten, ohne das System zu verändern. Behelfsweise kann man auf Metakognition ausweichen, also eine Beobachtung zweiter Ordnung vornehmen und den Zeitpunkt der Befragung (Messung) nach hinten schieben. Die Frage wird dann zu: „Womit habt ihr euch beschäftigt?“ Nur, die Beschaffenheit der Antwort darauf hängt von vielen Faktor ab. Und das Kultivieren einer solchen Antwort führt langfristig zum Bedürfnis von Schüler*innen, ihren Lernprozess selbst zu dokumentieren, um nachweisen zu können, was sie gelernt haben. Das wiederum behindert den eigentlichen Lernprozess. Lernen ist Kommunikation und diese ist ungestört, wenn sie fließt, ohne dass sie bürokratische Hürden eingebaut bekommt. Das Licht der Bewertung vertreibt den Flow.
Gutes Lernen ist ein Nachtschattengewächs. Es braucht die Dunkelheit.