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Schulentwicklung – Bildung – Organisation

Wir sind schon da -21st irgendwas


Wir schreiben das Jahr 2022. Das 21ste Jahrhundert ist seit 22 Jahren Realität. Dennoch erscheint das 21.Jahrhundert häufig als Beschreibung des Zukünftigen, des Modernen, des noch nicht Erreichten. Gerade so, als befänden wir uns noch in den späten 90ern des 20.Jahrhunderts, als wären wir dort hängengeblieben. Sind wir hängengebliebene 90s Kids?

Ich möchte an dieser Stelle ein Gegengewicht in Form eines Rückblicks anbieten. Das 21. Jahrhundert war bisher geprägt durch die GAK, die größte anzunehmende Katastrophe, die menschengemachte Klimakatastrophe, durch die Wiederkehr des Vaters aller Dinge – der Krieg ist zurück in Europa (auch wenn er genaugenommen nie weg war) – und durch verheißungsvolle Utopien, technologische Chimären, deren Versprechungen nicht eingelöst wurden. All das hat sich tief in unser kulturelles Gedächtnis eingegraben und ist Teil unserer ganz spezifischen Psychose. Die VUCA- und BANI-Welt überfordert uns mit ihren krassen Einstürzen und unsere Hoffnungen ruhen auf „zukunftsoffenen“ Gesetzen, die den technologischen Fortschritt mit Hoffnungen a la Deus Ex Machina überlasten. So funktioniert aber die Welt nicht. Captain Bitcoin erlöst uns nicht von der Klimakrise, sondern treibt uns weiter hinein; durch die gigantische Menge an Energie, die er braucht, und vertrauenswürdig ist er auch nicht. Künstliche Intelligenz ist inzwischen zwar in der Lage, um ein Bild von Captain Bitcoin

Captain Bitcoin as a Marvel Character poluting air and being untrustworthy

zu erstellen, löst aber kein einziges unserer Probleme und davon ist auch nicht auszugehen (KI eignet sich, um bekannte Lösungen zu verbessern, nicht aber, um neue Lösungen zu erfinden). Und das Metaverse ist auch nur 2nd life in neuem Gewand. Das Prinzip Hoffnung findet sich an jeder Ecke, und wird entsprechend auch von jeder Ecke bespielt und bewirtschaftet. Man muss aufpassen, dass man kein Schlangenöl kauft.

Wie kann man sich von dieser Psychose befreien? Während ich diese Zeilen schreibe, weiß ich es noch nicht. Mein Ansatzpunkt ist, zunächst die Psychose sichtbar zu machen. Wir imaginieren uns in ihr in eine ferne Zukunft, die wir, aus Gründen, mit dem 21sten Jahrhundert verbinden. Dabei ist das 21ste Jahrhundert längst da. Vielleicht ist das 21ste Jahrhundert aber auch nur ein Zauberbild aus dem 20sten Jahrhundert, dessen erlösendes Moment wir in unserer Psychose mit in das 21ste genommen haben. Dieses Bild ist eben verbunden mit Erlösungstechnologien, deren Abbild häufig riesigen neuronalen Netzen gleicht.

In einem Text über Schulentwicklung stellt sich so langsam die Frage nach dem Zusammenhang mit derselben: Digitalisation-Man ist ein Repräsentant dieser Psychose: „Digitalisierung“ ist ein zukunftsoffener Begriff, der nichts bezeichnet, weil er alles sein kann. Die 21st century Skills im Rahmen einer Kultur der Digitalität, die beide vom Schulsystem als Ganzem bislang massiv verschlafen wurden (Anwesende ausgeschlossen), und die zur tatsächlichen Bewältigung des 21sten Jahrhunderts vonnöten sind, sind gewissermaßen der Gegenbegriff. Sie bezeichnen konkret, welches Handeln wir brauchen, um dieser Psychose nicht völlig anheimzufallen, um nicht, wie Teile der Politik, auf einen göttlichen Eingriff zu hoffen.

Insofern geht es in der Schulentwicklung auch und zuerst immer um eine Orientierung an dem, was tatsächlich der Fall ist, und nicht an dem, was Snakeoil Witch und Dr. Blockchain so versprechen bzw. verkaufen.

Als Gesellschaft sollten wir uns eine Infrastruktur leisten, die genau das berücksichtigt. Wir brauchen DSGVO-konforme Open Source Produkte, die es ermöglichen, zeitgemäße Schule zu machen, und zwar in allen Bereichen.

Um die Retrospektive abzuschließen möchte ich doch auch ein wenig Hoffnung verbreiten. Ich hoffe, dass wir im Rückblick sagen werden: Die frühen Zwanziger des 21sten Jahrhunderts waren gekennzeichnet von einer begrifflichen Verwirrung, die erst Mitte der Dekade aufgelöst werden konnte, als mit dem Manifest der Digitalität die Heilsversprechen von Start-Ups ihrer diskursiven Kraft beraubt wurden, sodass staatliche Mittel endlich in die richtige Entwicklung fließen konnte.

Wir sind schon da. Das 21ste Jahrhundert hat seine eigene Zukunft, seine eigenen Hoffnungen und seine eigenen Psychosen. Auch wenn wir diese erst im Nachhinein erkennen können, sollten wir uns von denen des 20sten Jahrhunderts verabschieden.

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