Eine Transformationsklausel als Goliaths Achillesferse
Als ich meinen gegenwärtigen Job begann, stand in meiner Email-Signatur: „Digitale Schulentwicklung“. Relativ schnell stellten wir (mein Arbeitgeber und ich) fest, dass diese Bezeichnung aus mehrere Gründen unsinnig ist. Zum Einen ist „digital“ ein ziemliches Schmalspuradjektiv, und zum Anderen kann Schulentwicklung sich nicht auf den „digitalen“ Bereich beziehen. Wenn eine Schule sich entwickelt, dann entwickelt sie sich im Ganzen. Die Entwicklung hin zu einer offeneren Kultur oder gar einer „Kultur des Teilens“ ist so viel mehr als das bloße Geräte in Räume stellen und Kabel verlegen. Deswegen steht in meiner Signatur inzwischen nur noch „Schulentwicklung“. Meine Signatur 2.0 sozusagen. Ich glaube aber, dass Version 3.0 nur noch „Entwicklung“ lauten sollte. Und das hat mehrere Gründe: Das Zielbild, wie zeitgemäße Schule heute funktionieren sollte, mit den 4K im Blick, projektbasiertem agilem Unterricht, ohne Noten, etc., ergibt sich aus der Transformation. Dafür sind aber die Rahmenbedingungen nicht gemacht. Wenn ich meinen Job also ernst nehme, dann muss ich sagen, ich kann Schule erst dann so richtig entwickeln, wenn ich die sie umgebende (und durchwirkende) Gesellschaft mitentwickle.
Diese Rahmenbedingungen sind ein unbeweglicher Goliath. Er besteht aus den Kultusministerien, den Schulgesetzen und einer Vielzahl von Schulaufsichtsbehörden. Diese in Bewegung zu bringen, ist gefühlt unmöglich. Aber: Auch dieser Goliath hat eine Achillesferse:
So gibt es ja in Schleswig-Holstein (was mir in Baden-Württemberg recht wenig bringt) bereits eine Experimentierklausel im Schulgesetz:
Im Rahmen der Experimentierklausel wolle die Schulaufsicht alle Schulen verstärkt dabei unterstützen, innovative Konzepte zur Unterrichtsgestaltung, zu weiteren Möglichkeiten der Leistungsbewertung, zu anderen Leistungsdokumentationen, zur freieren Handhabung von Kontingentstundentafeln und Arbeitszeitmodellen zu entwickeln.
https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/ministerien-behoerden/III/Presse/PI/2023/Februar/20230222_experimentierklausel.html
Damit gibt die Schulaufsicht, das Primat, über die Art und Weise, wie Schule organisiert ist, zu einem gewissen Grad auf. Verantwortung wird damit dezentralisiert und damit entsiloifiziert. Und zwar deshalb, weil die Komplexität der Schullandschaft ministerial nicht mehr sinnvoll zentral und mit Silologik gesteuert werden kann. Das ist gewissermaßen ein Mandat zur Selbstorganisation.
So etwas hätte ich gerne in Baden-Württemberg und Hessen. Und für alle restlichen Bundesländer auch. Denn, was in Schleswig-Holstein Freiräume schafft, dass kann im Rest Deutschlands nicht verkehrt sein.
Aber da möchte ich nicht halt machen. Die Transformation hält ja nicht an, wenn wir aus der Schule raus gehen. Grade der Weg zur bzw. von der Schule weg ist ziemlich entwicklungsresistent, was zu großen Teilen an der Straßenverkehrsordnung liegt. Auch diese braucht eine Transformationsklausel. Mit ihr wären Tempo-30- und Kiss-and-Go-Zonen möglich, sowie die sichere Gestaltung von Fahrradwegen zur Schule, was nicht nur das Problem „Elterntaxi“ reduziert, bzw. abbaut, sondern auch klimatisch geboten ist.
Insgesamt müssen wir überlegen, ob eine Transformationsklausel nicht die Lösung für viele Transformationsbereiche sein kann, in denen die Logik schon lang nicht mehr der ministerialen Silologik entspricht. Zur Gestaltung einer solchen, würde sich ein Beteiligungsformat geradezu aufdrängen.